Richard wächst kurz nach dem Krieg ohne Vater und Mutter auf dem Hof seines Onkels und seiner Tante auf. Es ist eine schwere Kindheit, nicht nur weil das bäuerliche Leben keine Rücksicht nimmt. Da kommt schon mal die Tante mit einem Zettel während des Unterrichts in die Schulklasse, um Richard
und seine beiden Cousins Paul und Anton zur Feldarbeit zu holen. Und schwer, weil es ein ungeliebtes Dasein bedeutet, denn für Richard gibt es eigentlich keinen Platz in der Familie. Von Tante und Onkel fast feindselig wie ein Eindringlich geduldet, von den „falschen Brüdern“ Paul und Anton so oft es geht gehänselt. Er versteht nicht, warum es so ist. Aber mit seinen knapp 9 Jahren hat er es akzeptiert und versucht so wenig wie möglich aufzufallen. „Er hatte keinen Hunger, und am Abendbrottisch vermisste man ihn nicht. Nie jedenfalls war einer ins Zimmer gekommen, um nach ihm zu sehen.“
Der Lichtblick in Richards kleinem Leben ist der Großvater. Wenn der Großvater kommt, ihn an die
Hand nimmt und mit ihm Zeit in der Natur verbringt, dann ist das sein größtes Glück. Er spürt, dass er geliebt wird. Selbst wenn er nicht alles sagt, was er denkt, dann weiß er doch, dass der Großvater ihn versteht und ihn beschützt. Und wie gerne würde er diesen fragen, ob es in einer Zeit, an die er sich nicht erinnert, auch eine Mutter gab, die ihn wie die Madonna ihr Kind auf dem Gemälde in der guten Stube gehalten hat. Die Frage bleibt jedoch unausgesprochen. So wie es einige Fragen gibt, an die sich der Leser langsam herantasten muss: Wo ist die Mutter? Wer ist der Vater? Was ist während der Nazizeit geschehen?
„Abseits“ ist der Debütroman von Ulrich Rüdenauer und abseits ist gleichzeitig eine überaus kluge
Metapher für ein überaus kluges Buch. Um es vorweg zu nehmen: dieses Debüt ist einfach nur
wunderbar. Meisterhaft wie der Autor uns in die Welt des Neunjährigen hineinnimmt, wie einfühlsam
und emphatisch er diesen Charakter beschreibt. Jeder Satz ist ausgewogen, behutsam. Man leidet
und fühlt mit Richard, erlebt das Leben aus der Perspektive dieses sensiblen Kindes, das versucht
seine eigenes Ich zu finden. Doch eines Tages packt Richard seinen Rucksack und läuft weg. Dabei
begegnet ihm der rechtsaußen Fußballspieler „Charly“.
Mit einer unglaublich einfühlsamen Textsprache nimmt uns Rüdenauer mit in ein Milieu der
Einfachheit und des archaischen Denkens, in eine Zeit, die geprägt ist von schuldhaftem Schweigen
und Verdrängen. „Abseits“ ist eine bitter-schöne Geschichte. Ein brillantes Debüt. Ein Buch-Highlight.
Werbung I unbezahlt I Rezensionsexemplar I Danke an @berenbergverlag @kirchnerkommunikation
Regina ist leidenschaftliche Leserin und schreibt auf ihrem Instagram Account @landbuecher regelmäßig über "Bücher vom und über das Leben auf dem Land und alles was gefällt …". Mehr über sie, das liebgewordene Landleben und ihren wunderschönen Fachwerkresthof (Baujahr 1899) in Niedersachsen gibt es auch auf ihrem Blog "Kreuzstich und Zwiebelmuster" oder bei Instagram @kreuzstichzwiebelmuster Alle Bildrechte liegen bei Regina Woday
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