Das Unmögliche geschieht dadurch, dass man lebt.
- Katharina | Food Style Affairs
- 30. März
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. März

„Es ist leicht, um die möglichen Lebensvarianten zu trauern, die wir nicht leben. Es ist leicht, sich zu wünschen, man hätte andere Begabungen entwickelt, andere Angebote angenommen. Leicht, sich zu wünschen, man hätte härter gearbeitet, inniger geliebt, seine Finanzen klüger gemanagt, wäre beliebter gewesen, in der Band geblieben, nach Australien gegangen, hätte die Kaffeeeinladung angenommen oder mehr Yoga gemacht.
Es kostet keine Mühe, sich wegen Freundschaften zu grämen, sie man nicht geschlossen hat, wegen Arbeit, die man nicht getan hat, Menschen, die man nicht geheiratet, und Kinder, die man nicht bekommen hat. Es ist nicht schwer, sich mit den Augen anderer Leute zu sehen und sich zu wünschen, man hätte im Kaleidoskop von Versionen seiner selbst eine andere Version verwirklicht. Es ist eicht, Dinge so lange weiterzubereuen, ad finitum, bis unsere Zeit abgelaufen ist.
Aber das eigentliche Problem sind nicht die gelebten Leben. Das Problem ist die Reue selbst. Es ist die Reue, die uns beschämt und kleinmacht, sodass wir uns vorkommen, als wären wir unser schlimmster Feind und auch der schlimmste Feind anderer Menschen.
Wir wissen nicht, ob irgendeine andere Version besser oder schlechter gewesen wäre. Diese Leben existieren, das ist wahr, aber wie selbst existieren auch. Und darauf müssen wir uns konzentrieren.
Natürlich können wir nicht sämtliche Orte besuchen und sämtliche Menschen kennenlernen und sämtliche Berufe ergreifen, obwohl da meisten von dem, was wir im jeweiligen Leben fühlen würden, immer noch vorhanden ist. Wir müssen nicht jedes Spiel mitspielen, um zu wissen, wie sich Gewinnen anfühlt. Wir müssen nicht jedes Musikstück der Welt hören, um Musik zu verstehen. Wir müssen nicht sämtliche Traubensorten aus sämtlichen Weinbergen gekostet haben, um Wein genießen zu können.
Liebe und Lachen und Angst und Schmerz sind universelle Währungen.
Wir müssen einfach nur die Augen schließen und das Aroma des Getränks genießen, das vor uns steht, und einem Song lauschen, der gerade läuft. Wir sind im selben Maß lebendig wie in jedem anderen Leben und haben Zugang zum gleichen emotionalen Spektrum.
Es reicht, eine einzige Person zu sein. Es reicht, eine Existenz zu leben.
Wir müssen nicht alles tun, um alles zu sein, denn wir sind ja bereits unendlich.
Jedes Leben schließt eine facettenreiche Zukunft ein. Seien wir also freundlich zu den Menschen in unserem eigenen Leben. Blicken wir einfach gelegentlich auf, denn egal was, wo wir stehen, über uns wölbt sich der unendliche Himmel.
Gestern war ich noch fest davon überzeugt, keine Zukunft zu haben und mein jetziges Leben unmöglich akzeptieren zu können. Und obwohl mir mein chaotisches Leben immer noch chaotisch vorkommt und die Bürde des Daseins nach wie vor auf mir lastet, hat sich etwas verändert. Ich habe in dieser Dunkelheit etwas gefunden. Hoffnung. Potential.
Vom Arzt bekam ich immer nur zu hören, mein Problem sei situativ, nicht klinisch. Dabei hat es sich an meiner Situation doch gar nichts geändert. Und an meinem Problem eigentlich auch nicht. Meine Neigung zu Depression bleibt bestehen. Geändert hat sich jedoch, dass ich die Chance bekam, verschiedenste Situationen zu durchleben. Ich könnte euch alles darüber erzählen, aber ihr würdet mir nicht glauben.
Ich kann nur sagen: Im Grunde hat sich nur Eines verändert. Doch dieses Eine war alles. Ich möchte nicht mehr sterben. Ich habe den Tiefpunkt erreicht und dort einen Halt gefunden. Ich habe jede Menge erlebt, in einer Zeitspanne, die euch wie eine einzige Nacht erscheint. Ich bin 10.000 Meilen weit vom Unvorstellbaren zum Möglichen gereist. Vom Tod zum Leben. Ich glaube, das Unmögliche geschieht dadurch, dass man lebt.
Wird mein Leben auf wundersame Weise plötzlich frei von Schmerz, Verzweiflung, Trauer, Herzenskummer, Not, Einsamkeit und Depression sein? Nein.
Aber möchte ich leben?
Ja. Ja. Tausendmal ja."
(aus "Die Mitternachtsbibliothek", von Matt Haig - Werbung ohne Auftrag)
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