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Die Depressionistin im Glitzerpelz

Autorenbild: Katharina | Food Style AffairsKatharina | Food Style Affairs

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Dass mit mir etwas nicht stimmt, weiß ich schon lange. Als erfahrene Depressionistin gehört „komisch sein“ quasi zur Grundausstattung. So, wie Menschen, die eine Imbissbude oder ein Nagelstudio eröffnen, beim Unterschreiben ihres Gewerbescheins ein schief gedrucktes „Neueröffnung“-Schild überreicht bekommen, wird Menschen mit Depressionen ein unsichtbares „undefinierbar-seltsam“ auf die Stirn getackert. Definitiv schief – so schräg, wie man manchmal drauf ist oder von anderen angeschaut wird.


Meiner Meinung nach völlig legitim, weil es sich auch so anfühlt. Wenn die dunklen Wolken tief hängen, wird es „undefinierbar-seltsam“ – in mir und mit mir. Dann kenne ich mich selbst nicht mehr. Wie fremdgesteuert übernimmt „etwas“ das Ruder, und ab da wird’s blöd (gelinde gesagt) bis gefährlich (Tod ernst gemeint). Eine zähe, schwarze Masse steigt auf, legt sich wie Teer über alles, macht mich handlungsunfähig. Vor allem macht sie alles dumpf. Nichts fühlt sich mehr richtig oder falsch an. Nichts fühlt sich überhaupt an.


Wenn Robin Williams sich aufgrund seiner Depression das Leben nimmt, sind alle tief betroffen. Wenn die eigene Tochter vergeblich versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden, hört das Verständnis oft auf. Dann wird es peinlich, wirft ein schlechtes Licht auf die Familie. Aus der Not heraus werden Angehörige, Partner und Arbeitskollegen belogen, damit bloß keiner erfährt, was wirklich los ist.


Depressionen zu Hause haben keinen Glamour, keine mediale Tragik. Psychische Erkrankungen in den eigenen vier Wänden sind ein „No-Go“, ein Familiengeheimnis, das nicht nach außen dringen darf.


Und wenn doch, dann folgen, meist gut gemeinte, aber oft nutzlose Ratschläge. Und mit denen kenne ich mich aus. Ich habe in meinem Leben viele bekommen:


  • „Du musst einfach mehr Sport machen.“

  • „Nimm doch nicht immer alles so schwer.“

  • „Lass doch mal mehr los.“

  • „Du als Yogalehrerin müsstest es doch besser wissen?!“

  • „Geh mehr in die Natur, dann wird das schon.“

  • „Schläfst du genug?“

  • „Du schläfst zu viel!"

  • "Hast du es schon mal mit Johanniskraut versucht?"

  • "Bachblüten sollen ja auch gut sein bei sowas"


Sogar ein Arzt meinte einmal zu mir: „Sie sind einfach gestresst. Kalte Duschen, dann geht das weg.“

Vieles davon war sicher gut gemeint. Vieles war Unwissenheit. Einiges einfach Bullshit. Und doch: Jeder Kommentar hat mir geholfen, mich mit meiner eigenen Situation bewusster auseinanderzusetzen und entsprechend selbst-bewusster damit umzugehen.


Ich schreibe das, weil es mehr Bewusstsein für psychische Erkrankungen braucht. Weil ich so viele Ratschläge von Menschen erhalten habe, die keine Ahnung hatten – und ich daran etwas ändern will. Weil ich authentisch sein möchte, ohne Wenn und Aber.


Weil ich davon überzeugt bin, dass wir mit mehr Offenheit ein "gesünderes" Miteinander gestalten können. Und weil es im Leben mehr interessierte Fragen braucht – und weniger ungefragte Ratschläge.


Wir sind schon eine ganze Weile zusammen unterwegs – dieses bunte Leben und ich – und trotz der tiefschwarzen Wolken sind wir weit gekommen. Therapiestunden, Medikamente, Klinikaufenthalte und offene Gespräche mit Freunden haben mir geholfen. Und dafür bin ich dankbar. Denn manchmal geht es ohne solche Hilfestellungen einfach nicht.

Und das sollte niemand verschweigen müssen. Sowas rettet Leben!


Für K., L. und M. – weil ihr, auch wenn es manchmal verdammt schwer ist, trotzdem das Leben rockt. #wirsindnichtalleine

Organisationen


Diese Organisationen helfen Personen, die an seelischen Krankheiten leiden und fördert das öffentliche Bewusstsein für mentale Gesundheit. In Deutschland gibt z.B.:


Deutsche Depressionsliga (bin ich Mitglied)

Literatur zum Thema Depression


„Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben“ von Matt Haig, ISBN 978-3-423-28071-6




„Bin ich schon depressiv, oder ist das noch das Leben?“ von Till Räther ISBN 978-3-499-00530-5

4 Comments

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kochsandra81
vor 5 Tagen
Rated 5 out of 5 stars.

Gut gemeinte Ratschläge sind trotzdem Schläge.. der schwarzeTeppich wird meist noch dicker und verteilt sich wie Suppe und man bekommt Lust zu schreien, zu würgen, zu kloppen… einfach alles! Mit Dir stimmt alles!!! Nur mit der Gesellschaft einfach nicht ❤️ ich schick Dir einen dicken Schmatzer und Drücker! Ach und einen Flusenetferner für Teppiche

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Katharina | Food Style Affairs
Katharina | Food Style Affairs
vor 5 Tagen
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Du bringst es auf den Punkt und danke für den Flusenetferner 😁

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Kerstin.Pflug
vor 5 Tagen

Wunderbar und so wahr❤️ Danke für diesen tollen Beitrag

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Katharina | Food Style Affairs
Katharina | Food Style Affairs
vor 5 Tagen
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Danke selber Du 💛

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