Seit über 26 Jahren ist der engagierte Orthopädietechniker Sven Rogowski in der Universitätsklinik in Münster tätig. Nach einer ersten Ausbildung zum Werkzeugmechaniker und einem Fachabitur im technischen Bereich begann sein Weg in die Welt der Orthopädietechnik eher zufällig – und doch mit voller Überzeugung. Die Leidenschaft für den Umgang mit Menschen entstand während seines Zivildienstes in einer Klinik für Suchterkrankungen. Schon damals wurde ihm bewusst, dass ein Beruf, der handwerkliches Geschick mit der zwischenmenschlichen Komponente verbindet, das Richtige sein würde.
Orthopädietechnik war zunächst ein unbekanntes Terrain. Auch im Umfeld des Technikers war das Thema Hilfsmittelversorgung kaum präsent. Erst durch eine Empfehlung stieß er auf diesen Berufszweig: Eine Tante, die in einem neu eröffneten Sanitätshaus arbeitete, erzählte ihm von der Werkstatt und ihrer Arbeit. Ein erstes Praktikum im Sanitätshaus war jedoch wenig inspirierend – zu eintönig war die Arbeit, der direkte Patientenkontakt kaum gegeben. Doch ein entscheidender Tipp von einem Mitarbeiter änderte alles: Die Uniklinik in Münster könne mehr bieten und sei ein guter Ort, um über ein Praktikum die Orthopädietechnik wirklich zu verstehen. Die Faszination und den Wunsch, diese Technik selbst zu beherrschen war somit geweckt: „Nach vier Stunden, die ich dort verbracht hatte, war klar, das ist mein Job, hier will ich hin!“
Wie genau kann man sich einen Arbeitsalltag von einem Orthopädietechniker vorstellen?
Einen vorgegeben Tagesablauf gibt es glücklicherweise nicht! Ich mache alle Termine mit meinen Patienten selber, so kann ich die Arbeitsabläufe, wie z.B. das modellieren der Gipsmodelle oder die Fertigung der Orthesen- oder Prothesenschäfte, perfekt zu den Anprobeterminen organisieren. Im Klinikbetrieb begleiten wir aber auch die Stationsvisiten, oder betreuen die ambulanten Sprechstunden unserer Mediziner, so können direkt Versorgungen oder deren Problematiken diskutiert und besprochen werden.
Was genau ist dein Aufgabengebiet?
Ich bin bei uns im Team der Orthetik. Wir sind für die Fertigung aller individuell hergestellten Orthesen, Orthoprothesen, sowie die Versorgungen der verschiedenen Fußamputationen zuständig.
Ein sehr umfangreiches Spektrum an Versorgungen, das herausfordernd, umfangreich und niemals langweilig ist.
Was macht diesen Beruf für dich so besonders?
Die Kombination aus handwerklicher Arbeit, mit unterschiedlichsten Materialien und der tägliche Umgang mit Menschen macht diese Arbeit so einzigartig für mich.
Mit vielen „meiner“ Patienten besteht ein inniges Verhältnis. Es ist doch eine sehr intime Geschichte, bis so ein Hilfsmittel fertiggestellt ist und über die Jahre hinweg entsteht oft so etwas wie Freundschaft.
Manche meiner Patienten haben mit mir laufen gelernt und sind jetzt mit ihrem Studium fertig, fangen mit ihrer Ausbildung an, sind junge Eltern, oder stehen schon mitten im Berufsleben. Andere wiederum gehen in Rente und sind froh, dass sie noch so lange Arbeiten konnten, um jetzt im Ruhestand noch einmal richtig Gas zugeben.
Was macht dir besonders Spaß?
Der Umgang mit unseren „Kleinsten“ ist für mich das Größte. Die Kids sind so unbefangen und durch ihren natürlichen Bewegungsdrang kaum zu stoppen. Sobald die „Prothi“ oder das kleine Bein“, oder wie auch immer die Familien das Hilfsmittel nennen, einigermaßen passt, geht die Post ab!
Dann laufen, hüpfen, springen die Kinder durch die Gegend, diese Momente sind der „echte Lohn“ für meine Arbeit.
Was braucht es, um diesen Beruf ausüben zu können?
Der Orthopädietechniker, oder wie es mittlerweile heißt, Orthopädietechnik- Mechaniker ist ein handwerklicher Gesundheitsberuf.
Die Ausbildung dauert drei Jahre und erfordert handwerkliches Geschick, Einfühlungsvermögen und Kommunikationsfähigkeit.
Als Orthopädietechnik- Mechaniker *in stellt man unter Berücksichtigung einer ärztlichen Diagnose und patientenbezogener Bedürfnisse orthopädische Hilfsmittel her. Das Anfertigen von Prothesen, Orthesen oder anderweitigen Hilfsmitteln gehört zur täglichen Aufgabe dieses Berufes. Es wird mit den unterschiedlichsten Materialien gearbeitet, dazu zählen verschiedene Kunststoffe, Karbon- und Glasfaserverbundstoffe, Holz, Textilien und Silikone, sowie Harze und Klebstoffe.
In wenigen Sätzen und für Unwissende: Was ist z.b. eine Orthoprothese?
Eine Orthoprothese ist eine Mischung aus Orthese und Prothese. Dazu muss man wissen, dass eine Orthese ein korrigierendes, schützendes, stützendes Hilfsmittel für eine vorhandene Extremität ist. Eine Prothese aber ein Gliedmaßenersatz darstellt, nach einer Amputation. Bei einer angeborenen Fehlbildung des Beines ist ja eigentlich die Extremität vorhanden, muss aber durch den prothestischen Anteil ergänzt werden. Eine Sonderform ist die sogenannte Umkehrplastik, diese Versorgung hat mich von Anfang an in den Bann gezogen.
Ich versuchs mal etwas laienhaft zu erklären: Es wird bei einem Osteosarkom (Knochentumor) im Oberschenkelbereich der betroffene Teil das Oberschenkelknochens entfernt und der Unterschenkel samt Fuß um 180° rotiert wieder fusioniert. Dadurch übernimmt das Sprunggelenk die Funktion eines sogenannten Neo-Kniegelenks. Es entsteht ein zu versorgendes Bein, mit einem Kniegelenk, das aktiv vom Betroffenen angesteuert werden kann. Zudem behält der Fuß seine volle Sensibilität. Alles recht kompliziert und schwer vorstellbar, aber eine unglaublich interessante Versorgung.
Gibt es ein „Highlight“ in deiner beruflichen Laufbahn?
Ein persönliches Highlight meiner beruflichen Laufbahn war es, dass ich einen Vortrag zu genau dieser Art von Versorgung einer Orthoprothese halten durfte.
Vor einigen Jahren wurde ich zusammen mit einem unserer Professoren darum gebeten auf der "OT World", der größten Orthopädie Fachmesse der Welt in Leipzig mit parallel stattfindendem Weltkongress, einen Fachvortrag zu dieser Versorgungsart im Vergleich zu einer Oberschenkel-Orthesenversorgung auszuarbeiten.
Das war schon ein Meilenstein, seine Arbeit einem Fachpublikum aus der ganzen Welt zu präsentieren.
Gibt es eine Geschichte/Schicksal eines Patienten das dir besonders nahe ging?
Natürlich gibt es auch nicht so schöne Erlebnisse, wir arbeiten ja nun mal auch mit zum Teil schwer kranken Menschen zusammen, die so manche Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Aber die eine Geschichte gibt es nicht… Es gab eine Zeit, da hatte ich immer leichte Probleme mit den Versorgungen von Jungs, die im gleichen Alter meines Sohnes waren, aber das ist irgendwann raus gewachsen.
Wie schafft man es zu den Patienten Abstand zu bekommen und ihr Geschichten nicht mit nach Hause zu nehmen?
Die Frage finde ich etwas schwierig, sie zielt irgendwie auf Mitleid ab. Im Grunde genommen nehme ich die schönen Sachen mit nach Hause! Unsere Arbeit schafft ja neue Lebensqualität, Selbstständigkeit und andere Möglichkeiten für unsere Patienten.
Ein gewisses Maß an Mitgefühl ist okay, aber Mitleid möchte eigentlich niemand.
Stichwort „KI“ – ist das in deinem Arbeitsbereich auch ein Thema und wie stehst du dazu?
Natürlich halten auch die neuesten Technologien, wie Scantechnik und 3D -Druck usw. bei uns Einzug. Ein wahnsinnig spannendes Thema, mit unglaublich vielen Möglichkeiten. Aber meiner Meinung nach sollte man aufpassen, dass sich nicht eine Dynamik entwickelt und die erforderliche Individualität bei den Versorgungen, durch zu wenig „Fingerspitzengefühl“ verloren geht.
Sven, vielen Dank für das tolle Interview!
Die beruflichen Erfolge brachten jedoch auch einen hohen Anspruch an Sven Rogowski mit, der schließlich in einem Burnout mündete. Die Erkenntnis, dass der Beruf auch zur Selbstbestätigung gedient hatte, führte zu einer bewussten Neuorientierung: Statt Anerkennung in Form von Zertifikaten und Weiterbildungen zu suchen, sollte die Patientenversorgung wieder mehr in den Vordergrund rücken. Heute gibt der Techniker seine Erfahrung und das Wissen über die komplexe Versorgung von Patienten an Auszubildende weiter. Gibt unter anderem auch Schulungen und macht Werkstattführungen für Pflegepersonal, Studierende und Besuchergruppen, um die umfassenden Versorgungsmöglichkeiten in der Orthopädietechnik zu vermitteln.
Private Einblicke und seine Leidenschaft für selbstgemachte Burger teilt Sven regelmäßig auf Instagram @svens_man_cave
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